Israelis und Palästinenser erzählen Geschichte(n)
Matthias Ries arbeitet für das Forum Ziviler Friedensdienst in Jerusalem. Seine Workshops sollen jungen Palästinensern und Israelis helfen, sich ihrer eigenen Geschichte und Identität bewusst zu werden – und mit "der anderen Seite" darüber zu reden.

Von Michael Gleich
Geschichte ist nicht objektiv. Wenn Israelis und Palästinenser auf die vergangenen 100 Jahre zurück blicken, gelangen sie jeweils zu einer völlig eigenen Erzählung. Jedes der beiden Völker beurteilt Ereignisse, Personen und Entwicklungen anders, jedes hat seine eigenen Helden und Mythen. Nicht diese unterschiedliche Wahrnehmung selbst ist das Problem, meint Dr. Matthias Ries gegenüber den Peace Counts Reportern, sondern dass sie unbewusst bleibt und im Dialog immer wieder für fundamentale Missverständnisse sorgt.

Ries veranstaltet in Israel und Palästina eine Seminarreihe mit dem Titel "Entscheidung für Geschichte". Der Historiker, entsandt vom Forum Ziviler Friedensdienst, hilft den jungen Teilnehmern, anhand von Bildern, Symbolen und Fotos, die sie selbst auswählen, zu Erzählern der eigenen Geschichte zu werden. Die so entstehenden Narrative sind nicht das Endziel des Projekts, sondern nur der erste Schritt: In der Folge diskutieren Israelis und Palästinenser, wie sie zu so unterschiedlichen Wahrnehmungen gekommen sind.

Angesichts von Grenzsperrungen und Repressionen gegen die Bevölkerung in den besetzten Gebieten können sich Vertreter der beiden Konfliktparteien derzeit nicht persönlich treffen. Das Internet hilft: Die Narrative werden in Bild und Wort auf einer Website publiziert. Jugendgruppen der palästinensischen Fatah und der israelischen Arbeitspartei, mit denen Matthias Ries regelmäßig zusammenarbeitet, sprechen getrennt über die Narrative der jeweils "anderen Seite".

Was bringt Geschichtsschreibung in Zeiten von Selbstmordattentätern und blutigen Armee-Einsätzen? "Damit lässt sich natürlich nicht die Gewalt stoppen. Aber ich kann die Friedensbereiten im Lande stützen und stärken. Sie bereiten sich auf jenen Tag vor, wenn Dialog wieder möglich und gewünscht wird."
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Oben links:
Entscheidung für Geschichte: Junge Israelis diskutieren anhand von Bildern und Fotos, wie sie die vergangenen 100 Jahre erzählen wollen - und erfahren so etwas über die eigene kulturelle Identität.
Oben rechts:
Der promovierte Politologe Matthias Ries, 34, arbeitet als "Friedensfachkraft" in Jerusalem.
Fotos:
Frieder Blickle/bilderberg
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